Beerfelden. Der dreischläfrige Galgen oberhalb von Beerfelden ist ein Rechts- und Kulturdenkmal von außergewöhnlicher Bedeutung – eine Einschätzung von Prof. Dr. Barbara Dölemeyer, die vor Ort sicher uneingeschränkt geteilt wird. Der Vorsitzende des Fördervereins Burg Freienstein, Jürgen Kammer, hatte die Rechtshistorikerin um ein Gutachten gebeten, um das Thema mit Blick auf die geplante Windkraftnutzung auf Hirschhorner Höhe und Katzenwinkel einzuordnen.
Dölemeyer sieht die Bedeutung der Hochgerichtsstätte in mehrfacher Hinsicht als herausragend: rechtshistorisch und rechtsarchäologisch als Rechtsdenkmal, regionalhistorisch als Hoheitssymbol sowie künstlerisch und kulturhistorisch als Kulturdenkmal. Die sehr erhebliche Beeinträchtigung durch geplante Windkraftanlagen „würde einen großen kulturellen Verlust bedeuten und sollte unbedingt vermieden werden“, fordert sie.
Es handelt sich für die 76-Jährige nicht nur den besterhaltenen dreisäuligen/dreistempeligen Galgen Deutschlands, sondern auch um den einzigen, der heute noch den Originaleindruck eines frühneuzeitlichen Hochgerichts vermittelt. An der Stelle eines hölzernen Vorgängers (um 1550) wurde 1597 der derzeitige Galgen in Rotsandstein errichtet, erläutert die in Bad Homburg wohnhafte Wissenschaftlerin.
Er besteht aus drei etwa 4,5 Meter hohen Säulen in toskanischem Stil, verbunden durch Holzbalken, die an der Unterseite durch Flacheisen verstärkt sind. An den Eisenbändern gibt es sechs etwa 60 Zentimeter lange eiserne Hängeketten. An den drei Querstangen konnten bis zu sechs Delinquenten gleichzeitig gehenkt werden, führt sie aus.
Die sehr aufwändige und künstlerische Ausführung der Säulen zeigt Dölemeyer zufolge Stilelemente der Kunst der Renaissance und weist auf die besondere Bedeutung dieser Richtstätte hin. Die entsprach der der Oberzent, eines regionalen wirtschaftlichen und gerichtlichen Zentrums. Teile der Querbalken wurden im Laufe der Zeit erneuert, aber in der Grundstruktur ist der Galgen seit dem Ende des 16. Jahrhunderts original erhalten.
Er diente der Gerichtsbarkeit des Zentgerichts Beerfelden (= Obercent). Die Einteilung in Gerichtsbezirke (Centen) stammt aus dem Frühmittelalter. Das Gebiet um Beerfelden wurde als Obercent bezeichnet – im Unterschied zu Untercent (= Erbach/Michelstadt). Der Ort der Rechtsprechung, also die Zentgerichtsstätte mit Zentgerichtslinde, befand sich an einer anderen Stelle: wo sich Airlenbacher Straße und Güttersbacher Weg gabeln. Die Linden am Galgenplatz wurden später gepflanzt.
Der Standort an der Straße nach Airlenbach, an einem alten Handelsweg, auf einer freien Anhöhe weithin sichtbar als markantester Punkt im Gerichtsbezirk, mit Versammlungsmöglichkeit für größere Zuschauermengen, ist ein hervorgehobener Platz, betont die Rechtshistorikerin. Für Hochgerichtsstätten waren Sichtbarkeit und öffentliche Wirkung charakteristisch, denn Hinrichtungen waren Veranstaltungen der gesamten sozialen Gemeinschaft. Aus dieser wurde der Delinquent ausgestoßen.
Auf alten Karten sind laut Dölemeyer zahlreiche frühere Standorte von Galgen verzeichnet, da diese aus kartografischer Sicht als Orientierungspunkte in der Landschaft wichtig waren. Galgen waren zum einen häufig auf erhöhten, weit sichtbaren Punkten aufgestellt, zum anderen nahe an Herrschaftsgrenzen.
Einerseits sollte diese Aufstellung Wirkung auf die Bevölkerung ausüben und Abschreckungscharakter haben, andererseits sollte dadurch der Galgen als Zeichen der Hochgerichtsbarkeit (Blutbann) und Strafjustiz sowie Ausdruck der Landeshoheit demonstriert werden. Im Fall des Beerfelder Galgens waren es die Grafen von Erbach, die bis zum Ende des Alten Reichs und der Gründung des Rheinbundes 1806 über die hohe und niedere Gerichtsbarkeit verfügten.
Der Standort auf der Anhöhe als ein wesentliches Merkmal dieser herausragenden Richtstätte und einzigartigen Rechtsdenkmals „wäre einer sehr erheblichen und den Gesamteindruck störenden Beeinträchtigung unterworfen, falls im Umfeld Windkraftanlagen gebaut würden“, warnt die Wissenschaftlerin.
Die Dominanz des rechtlichen und kulturellen Wahrzeichens würde durch Industrieanlagen gestört. Historische Strukturen träten dadurch in den Hintergrund, weist sie auf die Dominanzverschiebung hin. Ein Kulturdenkmal dieser Ordnung in Frage zu stellen, wäre „äußerst bedenklich und bedrohlich und daher abzulehnen“, erklärt Dölemeyer.